Von Geräuschen und Sorgen

Donnerstag ging es dann wieder mal ins Büro….so langsam gewöhne ich mich an den neuen Kollegen…und der Controller hat ihn auch schon auf meine Besonderheit in Bezug auf Geräusche hingewiesen.

Der Neue hatte zwar sein Headset auf, trotzdem konnte ich (selber mit Headset auf den Ohren) jedes Wort hören, dass sein Gegenüber zu ihm sprach. Mit dem Hinweis, das ich jedes Wort aus seinem Headset hören konnte, bat ich um eine leichte Reduzierung der Lautstärke im Kopfhörer, und da kam dann die Info von ihm, das ihn der Controller bereits über mein ausgeprägtes Hörvermögen informiert hatte und auch darüber, dass ich auf Lautstärke nicht so gut reagiere.

Ich hab ihm versucht das zu erklären und er war auch sofort bereit, die Lautstärke in seinem Hörer anzupassen…ich versuche also seine ständigen Schlürfgeräusche beim Kaffeetrinken zu akzeptieren, solange ich seine Gespräche aus dem Headset nicht mithören muss ….es ist ja nicht so, als ob ich jedem jedes Geräusch verbieten wollen würde…okay würde ich zwar gerne – kann ich aber nicht…jeder Mensch macht nun einmal normale Geräusche, die ich eben überlaut wahrnehme..aber dafür hab ich ja mein eigenes Headset, welches ich auch oft nutze um ruhige Musik zu hören, damit ich meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge fokussieren kann.

Normalerweise lasse ich mein privates Handy während der Arbeitszeit unangetastet…aber meine Schwester hat momentan Redebedarf…wir haben also öfter gechatted und telefoniert (dazu verlasse ich immer unser Büro uns suche mir ein leeres Büro).

Sie hat nach dem Schreiben ihres Anwalts an den Arbeitgeber nun ein erneutes Gespräch mit ihrem Chef gehabt. Sie bekommt zwar immer noch nicht das, was der Tarifvertrag für ihre Betriebszugehörigkeit eigentlich vorschreiben würde, aber dafür 2 Sonderzahlungen und die Zusicherung im nächsten Jahr bei der nächsten Anpassung entsprechend berücksichtigt zu werden. Sie hat das akzeptiert und ich kann sie verstehen. Zusammen mit der bisherigen Gehaltserhöhung und den Sonderzahlungen steht sie schon mal ganz gut da, ohne den Arbeitgeber verklagen zu müssen..das möchte sie auf keinen Fall, immerhin möchte sie auch noch die letzten Jahre bis zur Rente dort arbeiten.

Das Gespräch hatte noch einen weiteren Teilnehmer, so das es einen Zeugen für die Vereinbarung gibt…was ich für nicht unwichtig halte. Andere Kolleginnen haben die neuen Verträge wohl inzwischen klaglos unterschrieben, so ist meine Schwester eine der Wenigen, die sich zur Wehr gesetzt hat.

Die erneute Anpassung kam wohl auch zustande, weil sie bei der Pflegedienstleistung schon mal erwähnt hat, also falls das Gehalt so bleibt, würde sie eben weniger oft freiwillig in Notsituationen aushelfen…weil das ja überhaupt nicht im Gehalt berücksichtigt wird, wie oft sie ihre Freizeit und Erholung opfert, um bei der angespannten Personaldecke auszuhelfen.

Prima – also eine Sorge weniger – nur um einen Tag später gleich die nächste Hiobs-Botschaft aus Flensburg zu bekommen….meine Schwester war beim Kardiologen und Ende des Monats bekommt sie eine Herzkatheter-Untersuchung bei der gleichzeitig einen oder mehrere Stents gesetzt werden sollen um wohl natürlich verengte Blutgefäße zu erweitern bzw. offen zu halten. Diese Operationen gelten als Routine-Eingriff.

Was ich nicht wusste, bei Frauen wird das meistens über die Handvenen und nicht über die Leisten-Venen gemacht. Klingt Beides nicht so prickelig…und natürlich mach uns das allen Dreien Angst…in unserer Familie sind Herzprobleme leider sehr ausgeprägt…egal welche Familienseite man sich anschaut. Aber sie ist ja sonst körperlich fit, bewegt sich viel und ernährt sich ziemlich ausgewogen um auch den Diabetes in Schach zu halten ohne Insulin spritzen zu müssen.

Hmmm meine eigene Untersuchung beim Kardiologen ist ja erst in 3 Monaten…wohl ist mir bei den Aussichten mit meiner Schwester in Bezug auf meine eigene Untersuchung ja gar nicht…aber immerhin hatte ich bei der letzten Untersuchung (noch in Frakfurt vor 3 Jahren) die info, das ich keine angeborenen Verengungen habe und auch sonst alles gut aussah, eben bis auf die angeborene „Anomalie“, die zu Herzrhythmus-Störungen führen kann. Aber jetzt geht es erst einmal um sie – nicht um mich….ich bin also immer noch im Sorgen-Modus

Veränderungen – ich bin nervös

Schon seit ein paar Tagen bin ich nervös, das steigerte sich dann bis Donnerstag. Ich bin früh ins Büro gefahren, denn heute gab es das, inzwischen wieder übliche, „Begrüßungs-Frühstück“ für die neuen Kollegen. In der Coronazeit war ich die Letzte, für die es das gab…fast 2 Jahre fand es dann nicht mehr statt….und nun, seit ein paar Monaten, dürfen wir das wieder und die Assistentin der Geschäftsleitung kümmert sich um den Einkauf und die Vorbereitung im großen Meetingraum. Na klar helfe ich dabei und andere Kollegen auch.

Es ist eine schöne Geste des Arbeitgebesr die neuen Kollegen damit zu begrüßen, sich locker und ungezwungen für ca. 1-1,5 Stunden mit allen Kollegen des Standortes zusammen zu setzen und zu plaudern – egal aus welcher Abteitung. Essen verbindet doch immer noch. Es ist kein Zwang, jeder kann – keiner muss anwesend sein….und durch Messen, Homeoffice und andere Auswärts-Termine, sind wir auch nie wirklich alle da…das würde inzwischen auch unseren „großen“ Meetingraum sprengen, der ist nur für 14-16 Personen ausgelegt. Wir stellen ja laufend immer mehr Kollegen ein und im November waren es damit 2 neue Gesichter.

Normalerweise machen mich neue Kollegen nicht nervös und auch nicht, dass ich mit einer Kollegin zusammen das Frühstück vorbereitete…aber ich war so nervös, weil einer der beiden neuen Kollegen zu uns ins Büro kommt…endlich hat der Controller seine Entlastung. Jemand der ihm die zeitraubenden Routine-Arbeiten abnimmt…damit wird aus unserem 2er Team in einem kleinen Büro, ein 3er Team.

Ich finde es toll das der Controller jetzt jemanden hat, der ihm hilft, mag die Vorstellung aber überhaupt nicht, jetzt zu Dritt in dem kleinen Büro sitzen zu müssen. Ich habs ja nicht so mit Veränderungen…und ich bin ja auch etwas speziell was Geräusche angeht und hab gerne meine Ruhe beim Arbeiten. Mit Klaustrophobie und Misophonie ist es eben nicht so einfach für mich.

Ja gut, in unserem Büro stehen schon 3 Schreibtische. Den Dritten haben wir aus Platzmangel eben immer auch so mit genutzt. Der Controller ist jetzt auch, was Ordnung angeht, das genaue Gegenteil von mir: Ich arbeite nach der „Clean-Desk-policy“ d.h. wenn ich nach Hause gehe, steht und liegt nichts herum und auch tagsüber herrscht Ordnung auf meinem Schreibtisch…alles wohl geordnet in Klarsichthüllen, auf maximal 3 Stapeln sortiert. Stifte, Stempel, Kaffeebecher und andere oft genutze Dinge haben ihren genau zugewiesenen Platz auf dem Tisch und Handy und Schlüssel müssen nicht offen herum liegen.

Beim Controller liegt alles breit gefächert auf Fensterbank, Sideboards, seinem Schreibtisch und dem 3.Schreibtisch quer durch einander. Der Laptop bleibt auch über Nacht aufgeklappt und die Bildschirme leuchten im Standby-Modus. Alles ist kreuz und quer verstreut und ich versuche nur in den gemeinsam genutzten Bereichen, sein Chaos zurück zu drängen. Damit kann ich inzwischen gut umgehen – ich hab mich daran gewöhnt.

Natürlich fragen mich die Kollegen schon seit Wochen: UND – wo wird der Kollege platziert? grrrrrr – na wo wohl – in unserem Büro. Da mich ja alle kennen, sind sie überrascht…und wie geht es Dir damit? grrrrrr – falsches Thema..ich bin hypernervös.

Wer weiß, ob der zusätzliche Kollege auch chaotisch veranlagt ist, den ganzen Tag vor sich hinmurmelt, ständig Nüsse oder Äpfel knabbert, permanent die Nase hochzieht und auch noch laut ohne Headset telefoniert .. Alles Dinge die ich nur schwer ertrage.

Was ist normal?

Sonntagmorgen auf dem Balkon…heute ist es wieder windstill und da reichen die 13 Grad, um sich mit Kaffee, Jacke und Decke nach Draußen zu setzen…Füße auf dem Hocker und Laptop auf den Knien, aus dem Kaffeebecher neben mir, dampft der heiße Morgenkaffee.

Da das Haus in dem ich wohne, nicht mitten im Nirgendwo steht, sind auch jetzt schon Menschen in den Häusern drumherum, auf ihren Balkonen, vor den Häusern….telefonieren bei geöffnetem Fenster, unterhalten sich,….jetzt nicht laut oder durchdringend…alles im normalem Rahmen….angemessen für einen Sonntagmorgen um 9.18 Uhr….

…und doch fällt es mir gerade schwer, das hinzunehmen…hatte ich mich doch sofort nach dem Aufstehen flugs hierhin gesetzt, um noch für ein paar Minuten, 1/2 Stunde wenigstens, die Stille des Morgens für mich zu haben.

Da ist es mal wieder… dieses Extreme bei mir. Flugzeuge die über das Haus fliegen oder die S-Bahn, die alle 20 Minuten vorbei fährt, stören mich nicht….aber Menschen die weit entfernt sind und normal laut sprechen, Wecker die leise irgendwo klingeln, Musik die von irgendwoher leise rüberschallt, triggern mich so, das ich es nicht schaffe, es zu ignorieren.

Ich verstehe ja, das laute Musik, lautes Reden und Party (wie in der letzten Nacht aus dem Nebenhaus) mich stören….aber an einem Samstagabend hab ich dafür Verständnis…setze die Kopfhörer auf, mache die Balkontür zu und gut ist.

Aber normale Lebens-Geräusche sollten mich doch nicht so triggern, das ich schon wieder nach den Kopfhörern greife.

Das hier ist normales Leben, mit normalen Geräuschen…nichts davon ist unnormal…nur ich – ich fühle mich mit dieser Überempfindlichkeit auf Geräusche mal wieder wie ein Exot – wie ein Fehlexemplar.

…noch während ich das hier schreibe, ist alles um mich herum wieder ruhig geworden und ich lausche wieder auf das Vogelgezwitscher und schaue einem Eichhörnchen beim Klettern zu….jetzt ist meine Welt wieder in Ordnung…und ich bin wieder entspannt.

Seit ich hier wohne, hab ich mich bereits an viele Lebensgeräusche gewöhnt….und meistens schaffe ich es auch, mich nicht davon triggern zu lassen….und falls doch, dann setze ich eben die Kopfhörer auf und höre ruhige Musik oder „Weisses Rauschen“.

Meine Nachbarn unter mir haben z.B. wieder einmal vergessen über das Wochenende ihren elektrischen Wecker auszustellen und sind weggefahren…..also tutet es jetzt ZWEI Stunden von 5:30 – 7:30 Uhr ununterbrochen….und ich höre es in jedem Raum.

Durch die Party nebenan bin ich letzte Nacht erst spät zum Schlafen gekommen und wurde dann um 5.30 vom Wecker der Nachbarn wach….hab die APP für „Weißes Rauschen“ angeschaltet, die kleinen Kopfhörer in die Ohren gestopft und konnte dann noch etwas weiter schlafen. In der kommenden Woche werde ich das Gespräch mit den Nachbarn suchen. Der Wecker ist scheinbar neu, denn bisher hab ich das Geräusch noch nie von unten gehört. Das ist zwar störend, weil ich davon wach werde, aber es triggert mich nicht so stark, wie ich es vermutet hätte.

Ich muss aber immer wieder bewusst Geräusche zulassen, akzeptieren und annehmen….und es geht schon bei vielen Geräuschen besser….manche kann ich inzwischen sogar gut ignorieren…aber manches Mal, wie heute, fällt es mir sehr schwer.

Ich hatte ja gehofft, das durch den Hörsturz vor ein paar Wochen ein paar der ganz hohen Töne gar nicht mehr bei bei mir ankommen….hahaha mein Ohr hat sich aber (zum Glück natürlich) vollständig davon erholt.

Triggern bedeutet, das auf einen bestimmten Reiz (Geräusch, Wort, Verhalten) eine heftige emotionale Reaktion ausgelöst wird. Bei mir sind es Geräusche und das nennt man dann auch Misophonie…eine neurologische Störung. Die negativen emotionalen Reaktionen, die viele Geräusche bei mir auslösen, kann ich dabei nicht wirklich kontrollieren…ich kann nur versuchen mich der Situation zu entziehen oder mich abzulenken.

Telefonat mit unterdrücktem Flucht-Reflex

Nach Feierabend hatte ich noch eine Telefon-Verabredung mit einer ehemaligen Kollegin aus Hessen. Die letzten Tage hab ich viel mit meiner Schwester telefoniert und beruflich telefoniere ich auch viel mehr, als sonst…und Morgen hab ich noch eine Telefon-Verabredung mit dem Rentner aus Hessen…..und da sage noch einer man kann sich nicht ändern….ich telefoniere immer noch nicht gerne….aber es wird besser.

Ich bin ja sehr eigen und mag es nicht, wenn sich Jemand in einem Gespräch mit mir, nicht darauf konzentriert, sondern nebenher noch andere Dinge macht….oder noch schlimmer, dabei auch noch isst. Ich empfinde die Geräusche im Hintergrund dann immer als übermässig laut und störend, während die Anderen irritiert sind, das ich

1. die Geräusche überhaupt höre,

2. die Ablenkung in Stimme und Reaktion wahrnehme und es dann auch noch

3. Anspreche ….weil es MICH ablenkt und teilweise sogar blockiert einer Unterhaltung zu folgen oder zu gestalten.

Meine liebe ehemalige Kollegin aus Hessen hat also während wir telefonierten: Kartoffeln geschält und dann lang und breit auf einem Holzbrett klein geschnitten….und unter fließendem Wasser abgewaschen, und die Auflaufform aus dem Schrank gezerrt….und dabei ging die Verbindung immer wieder von gut auf schlecht und wieder zurück…alles Geräusche die es mir während eines Telefonats schwer machen, zu glauben, das mein Gegenüber ganz bei der Sache ist.

Wahrscheinlich geht es wieder einmal nur mir so, aber ich empfinde es fast als unhöflich….aber ich versuche es zuzulassen….es anzunehmen und mich auf die Unterhaltung zu konzentrieren…und NICHT auf die Nebengeräusche….es hat ein paar Minuten gedauert und dann ging es ganz gut.

Ich versuche also mich mehr und mehr zu konditionieren, mich von Geräuschen nicht triggern zu lassen. Meine natürliche Reaktion ist: mich mittels Flucht der Situation zu entziehen….also das Gespräch schnell zu beenden oder so lange zu intervenieren, bis der Andere die Nebengeräusche abstellt.

Natürlich kann ich nicht immer dem Flucht-Reflex nachgeben…also habe ich schon vor Wochen angefangen Strategien gegen meine Misophonie einzuüben, um dem natürlichen Bedürfnis aus der Situation zu entkommen, entgegen zu treten.

Das ist nicht leicht und bedeutet mich dem Trigger-Geräuschen auszusetzen, es anzunehmen und wenn möglich, meinen Fokus auf etwas anderes zu lenken. Das ist ja keine Krankheit, kann also auch nicht geheilt werden…ich brauche daher Bewältigungs-Strategien um damit leben zu können.

Während der Pandemie war es einfach, allen und jedem unangenehmen Geräusch aus dem Wege zu gehen und so konnten sich mein Gehirn und mein Gehör von vielen Geräuschen tatsächlich so erholen, das einige sogar keine Überreaktionen in mir mehr auslösen. Andererseits hab ich mich dadurch auch so von Geräuschen entwöhnt, das mir jetzt viele normale Umgebungsgeräusche unnatürlich laut erscheinen und ich diese eher wahrnehme als früher. Also Fluch und Segen zugleich.

Aber die Ausgangslage hat sich trotzdem verbessert: Ich bin emotional ausgeglichener und schaffe es eher mich den Trigger-Geräuschen durch Ablenkung meiner Aufmerksamkeit auf etwas Anderes, zu entziehen. Aber es bedeutet, das ich ständig an mir arbeite, was anstrengend ist.